Jeinsen

Jeinsen ist für mich der Ort, in dem mein Fließbandnachbar aus alten Telefunkenjahren wohnt. Aus seinen komischen und manchmal drastischen Anekdoten und Geschichten ist es mir bekannt und vertraut. Dagegen nehmen sich die Notizen aus der Musterungsrolle von 1585 und dem Calenberger Hausbuch von 1592 für Jeinsen zunächst dürr, nichtssagend und auch verwirrend aus.
Hierzu muß ergänzt werden, daß das erst 1935 entdeckte Exemplar des Hausbuches schon im Oktober 1943 bei einem Großangriff auf Hannover ein Raub der Flammen wurde. Das 1980 erschienene Calenberger Hausbuch von 1592 von Heinrich Lathwesen greift auf das jüngere Lagerbuch des Amtes Calenberg von 1653, das vermutlich eine Abschrift des Hausbuchs von 1592 darstellt und andere Quellen zurück. So hat Max Burchard, Die Bevölkerung des Fürstentums Calenberg - Göttingen gegen Ende des 16. Jh. Die Calenberger Musterungsrolle von 1585 und andere einschlägige Quellen, Leipzig 1935, die Angaben der Musterungsrolle durch die Hofbesitzer aus dem Calenberger Hausbuch von 1592 ergänzt. Bei Lathwesen ist dies nach Burch. 1592: angefügt.
So wird in Jeinsen unter den Kötnern aufgeführt: Henni Pinkenborg, einen Kothof von den Klencken , zinset 5 g.; item 2 Scheffelstücke Kirchenland, zinset 4 Himbten; thut Dienst wie sein Nachbar.
Burch. 1592: Henni Mummenthei, Nachtrag: Barteldt Matthias, jetzt Hanß Matthias.

Unter den Beibauern ist genannt, aber ohne eine ausdrückliche Angabe der Hofstelle oder des Bauern wie bei den anderen Beibauern: Henni Mummenteis Witwe. Burch. 1592: gleiche Eintragung. Nimmt man die Entstehungsgeschichte des Lathwesenschen Hausbuches beim Wort, so ist auch 1653 noch Henni Mummenteis Witwe als Beibauer vermerkt. Witwe ist sie auch schon 1592. Falls sie in diesem Jahr Witwe geworden ist, was aus den Burchardschen Ergänzungen zu 1592: Henni Mummenthei, Nachtrag: Barteldt Matthias, jetzt Hanß Matthias geschlossen werden könnte, so wird sie zu dieser Zeit wenigstens zwanzig Jahre alt gewesen sein, 1653 dann 81! Leider beginnt das Jeinser Kirchenbuch erst 1657 und verzeichnet keine entsprechende Eintragung. Der 1585 in der Musterungsrolle genannte Henni Mummentei wird 1592 noch auf dem 1653 dann Henni Pinkenborgschen gehörenden Hof durch Burchard genannt, allerdings gefolgt von den Nachträgen: Barteldt Matthias, jetzt Hanß Matthias, was nur auf einen raschen Besitzerwechsel um 1592 schließen läßt. Die Kinder Henni Mummenteis, wenn es sie gab, sind in einem Alter, das einen Anschluß an die Hannoverschen Mummenteis (Dietrich sen. ab 1592 in Hannover und Dietrich jun. aus Hiddestorf (Henrichs Sohn) ab 1603 in Hannover) nicht zuläßt. Abgesehen von der Häufigkeit des Vornamens Henrich, verlockt die Nähe zur Form Henni hier noch mehr Zusammenhänge zu sehen! Der Student Hinrik in Erfurt und Leipzig 1406/09, der Hinrik 1411 im Copialbuch von Stadthagen, der Bäcker Hinrik oder Henningh 1439 in Hannover und schließlich Henrich, der Vater Dietrich Mummenteis jun., dem Begründer einer der hannoverschen Linien.
Es ist die Geschichte der Mummenteis des Nachbarorts Oerie, deren nicht einmal 200jährige Dauer doch exemplarisch das Schicksal von Menschen und Namen beschreibt, die in meiner Vorstellung auch ihren Schatten auf Jeinsen fallen ließ. Statt aus dem 103. Psalm hätte ich auch aus dem Buch Hiob zitieren können. In Oerie lebte Hinrich Mummentei bis seine erste Frau starb, er heiratete dann in Jeinsen Lucia Brandes, die Witwe Wedekind Gotts. Die Kopfsteuerbeschreibung von 1686/89 zählt ihre Namen auf und die ihrer Kinder:
Hinrich Mummenthei (72 Mg. 3 T. 18gr.) oo Lucia Brandt (1 T.).
Kinder:  Cord Gott (22 J.; 1 T.), Hans Gott (19 J.; 12 gr.), Ilse Gott
(16 J.; 12 gr.), Maria Mummenthei (10J.).  Dienstjunge Christof Bollman (11 J.).

Tochter Ilse{beth} Mummenthei 13 J. ist Magd bei Martin Sievers oo Anna Gott in Jeinsen.
Zwischen Oerie und Jeinsen müssen engere verwandtschaftliche oder freundschaftliche Beziehungen bestanden haben. Ein Fußweg von etwa 4 km Länge über Thiedenwiese und Vardegötzen verband beide Orte. Wedekind Gott ist schon 1676 mit 48 Jahren gestorben. Möglicherweise hat er anläßlich seiner Heirat mit Lucia Brandes am 19. Okt. 1658 im Alter von 30 Jahren den Hof von seinem Vater übernommen. Zu dem Vollmeierhof, auf den Hinrich Mummenthei einheiratete, ist 1653 im Lagerbuch verzeichnet:
Wedekind Gott, einen Meierhof mit 3 Huefen zehentfreyen Landes iede Huefe a 24 Morgen vom Closter Marienroda, zinset davon jehrlichs Hüner 1 Heupt, Roggen 8, Gersten 8, Habern 8 Malter Hannöverische Maaße; hat dabei eine Holztheilung ohngefehr von 6 Morgen wie auch eine Wiese vor Strickmanns Hoefe, ohngefehr von einem Fuder Hew, so Strickmann ihm entwaltiget haben soll; muß fürm fürstl. Ambte 6 Morgen zur Pflicht düngen, pflügen, bestellen und einfahren; dienet überdas dem Fürstl. Ambte wöchentlich 2 Tage oder gibt jährlich zwantzig Thlr. Dienstgeld, burgvestet jährlich 3 Tage, gibt ein Rauchhuen und 2 mg. Wachtegeldt.
Burch. 1592: Bartelt Baxmann.
Wie nun die Vermittlung der Ehe zwischen Lucia Brandes und Hinrich Mummentei erfolgte und ob sie eine reine Zweckgemeinschaft war, kann ich nicht mehr nachvollziehen. Gemeinsame Kinder haben die beiden offensichtlich auch nicht gehabt. Die Altersangabe von Ilsebeth und Maria Mummentei in der Kopfsteuerbeschreibung bezieht sich auf 1686, also ist die Maria der Kopfsteuerbeschreibung mit der Maria aus der ersten Ehe Hinrich Mummenteis identisch.
Als ich vor einiger Zeit das Flurnamen-Lexikon des Landkreises Hannover zu den Mummentei-Orten kaufte, fand ich in der Flurnamensammlung Gestorf auch Gotts Wiese: Die dem Vollmeier Heinrich Gott in Jeinsen gehörige Wiese 1840 UQ7. GOTTS: zum FN GOTT in Jeinsen. Weber, a.a.O S. 35. Er hat es also geschafft, war mein erster Gedanke. Der Interimswirt Hinrich Mummentei hat den Meierhof gut erhalten an den schließlich mündigen Hoferben übergeben!
Bei der Durchsicht vieler nichtssagender und absagender, manchmal auch schlicht die Unwahrheit sagender Antworten auf Anfragen an Archive und Pfarrämter, die mir K.-A. Mummenthey zugeschickt hatte, sollte mir dann ein Brief des Jeinser Pastors vom 9. Juli 1980 noch mehr Klarheit vermitteln. Aus dem Jeinser Kirchenbuch berichtet er auf die Anfrage vom 1.Juli 1980 nach Eintragungen mit dem Namen Mummenthey zunächst von einer Sterbeeintragung in der Schreibweise Mummentauen: "Im Jahre 1715 stirbt in Jeinsen am 4. August die Witwe Mummentauen Lucia Brandes von 74 Jahren. Sie ist also 1641 geboren, mithin vor Beginn des ältesten Kirchenbuches(1657). Ihre Heirat und der Tod ihres Mannes sind hier nicht beurkundet." Es folgen weitere ausführliche Hinweise auf die Namen Mummentorf und Muhme. "Schließlich eine Eintragung unter dem Namen 'Mummenten': am 5.11.1713 wird Heinrich Mummenten - Leibzüchter auf Cord Gotts Hofe von 79 Jahren beerdigt."So traurig der damalige Anlaß war, innerlich habe ich gejubelt, wenigstens einer der Oerier Mummenteis hatte das nahezu biblische Alter von fast 80 Jahren erreicht! Cord Gott muß für Stiefvater und Mutter gut gesorgt haben. Gefreut habe ich mich auch über den lesekundigen, schnellen und umsichtigen Pastor. Mag seine Ansicht zu den Beurkundungen zu Lucia Brandes Mann nicht ganz stimmen, tausend Dank seiner umfassenden Genauigkeit und Fähigkeit Schreibweisen-Variationen zu erkennen und mitzuteilen , die gegen Ende des Briefes so beschrieben wird: "In den Jahren und Jahrzehnte danach erscheint kein Name, der mit Mummenthey auch nur eine entfernte Ähnlichkeit hat."Mummentauen oder Mummentauw, da ist Mummentorf, wenn man der Volksetymologie ihren Freiraum läßt, nicht mehr weit. Die Schreibweise -tauen oder -tauw gibt es schon ab 1592 im Kirchenbuch von St. Aegidien in Hannover, aber auch im Oerier Kirchenbuch nach einem Pastorenwechsel. Nun liegen noch für meine reizüberfluteten Ohren Welten zwischen dem Klang von -tauen und -ten, wie mag es ausgesprochen worden sein? Es gibt viele Angehörige und Nachkommen der Familie Mummenthey, deren geschriebener Name nur die zitierte entfernte Ähnlichkeit mit Mummenthey hat. Abgesehen von den Variationen Mummelthey, Mommendey, Mummendey und Mumdey, dies alles auch mit -ei, oder, wo es paßt, ohne h gibt es noch Mompetain und in fast schon französischer Verkleidung Monpetain. Man muß sich den Namen nur richtig auf der Zunge zergehen lassen um lautierend wieder Mummethey herauszuhören. Einer meiner hannoverschen Vorfahren Hans Valentin Mummentei wird in der Kopfsteuerbeschreibung auch mit dem Namen Montein genannt, was aber im weiteren Text wieder zu Mummentay wird. Das Dorf Schoningen, in dem ich aufwuchs, hatte noch vor Jahren eine stattliche Anzahl von Mummentheys, nun habe ich immer das Schicksal der Oerier Mummentheys vor Augen, wenn ich an sie denke. Die Schoninger Mummentheys haben ihre Wurzeln auch in Hannover und vielleicht ist ihr Platt, das auch heute noch gesprochen wird, dem hannoverschen Idiom des 17. Jh. verwandt: Mummenthey, und ich habe die Aussprache auch aus meiner Kindheit noch gut im Ohr, wird wie 'Munntee'ausgesprochen. Munntees Schorse, das war mein Großvater.